pg-papers : Diskussionspapiere aus dem Fachbereich Pflege und Gesundheit
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2016,1
Die Anforderungen an die stationäre Pflege in Pflegeheimen haben sich in der jüngeren Vergangenheit massiv verschärft. Zudem wird die Zahl der Pflegebedürftigen mit stationärem Versorgungbedarf in den nächsten Jahren und Jahrzehnten noch weiter deutlich zunehmen. In der Vergangenheit konnte ein bescheidener Personalaufwuchs den gestiegenen Pflegebedarf nur teilweise kompensieren. Die verschlechterten Betreuungsrelationen und die moderat gesunkene Fachkraftquote weisen auf steigende Belastungen für die Beschäftigten und Gefahren für die Pflegequalität in Pflegeheimen hin.
Die Empirie aus den USA zu den Auswirkungen gesetzlicher Personalbemessung zeigt, dass positive Effekte auf die Pflegequalität vor allem durch die Neueinstellung von Pflegefachkräften entstehen. Es besteht jedoch die Gefahr, dass Einrichtungen zur Erfüllung der Mindeststandards in die Neueinstellung von Pflegehilfskräften investieren. Die Entwicklung der Mindeststandards zur Personalbemessung in den USA ist aus deutscher Sicht insofern vorbildhaft, als dass zumindest die Empfehlungen auf der vorliegenden Evidenz und auf der Basis umfangreichen Datenmaterials zum Zusammenhang von Personalausstattung und Pflegequalität beruhen. Die Mindeststandards in den einzelnen Bundesstaaten liegen teilweise deutlich unter diesen Empfehlungen – was durch politische und finanzielle Restriktionen erklärbar sein dürfte.
Grundsätzlich es zu begrüßen, dass mit dem PSG II der Gesetzgeber in Deutschland erstmals die Entwicklung und Erprobung eines wissenschaftlich fundierten Verfahrens zur einheitlichen Bemessung des Personalbedarfs in Pflegeeinrichtungen normiert. Die derzeitigen Reglungen sind in diesem Zusammenhang völlig ungenügend. Alleine die Entwicklung eines wissenschaftlich validierten Verfahrens zur Personalbemessung wird jedoch weder die Personalausstattung in den Einrichtungen erhöhen noch die Pflegequalität verbessern. Dazu müssten erstens die zuständigen Behörden in den Bundesländern dazu verpflichtet werden, die Einhaltung des postulierten Personalbedarfs zu überprüfen und ggf. auch zu sanktionieren. Zweitens müssten verschärfte Standards in der Personalbemessung daher hinreichend Berücksichtigung in den Pflegesatzverhandlungen zwischen Einrichtungen und Kostenträgern finden. Drittens ist die Einheitlichkeit der Umsetzung in den Bundesländern eine wichtige Voraussetzung für die Festlegung von Mindeststandards zur Personalbemessung, um einen sachlich nicht zu rechtfertigenden „Flickenteppich“ von landesgesetzlichen Reglungen zu verhindern.
Ausgesprochen problematisch ist aus gutachterlicher Sicht jedoch, dass selbst bei einem fristgerechten Abschluss des Verfahrens ein System zur Personalbemessung erst am 30. Juni 2020 vorliegen wird. Dieser lange Übergangszeitraum ist vor dem Hintergrund der Personalsituation in den Pflegeeinrichtungen, der damit verbundenen Belastungen für die Pflegekräfte und der resultierenden Gefährdung der Pflegequalität nicht akzeptabel. Daher wird vorgeschlagen, dass der mit dem Pflegestärkungsgesetz I eingerichtete Pflegevorsorgefonds in einen Pflegepersonalfonds umgewidmet wird.
Der Pflegepersonalfonds übernimmt im Übergangszeitraum bis zum 30. Juni 2020 die Finanzierung für nachweisbar nach dem 1. Januar 2016 neu eingestelltes Personal in der direkten Pflege in stationären Pflegeeinrichtungen. Die Einrichtung des Pflegepersonalfonds würde ein deutliches Signal senden, dass der Finanzierung einer hinreichenden Personalausstattung in Pflegeheimen eine hohe gesellschaftliche Priorität zukommt, was wiederum einen positiven Effekt auf die Steigerung der Attraktivität der Pflegeberufe mit sich bringen dürfte. Zudem würden die Träger von Pflegeeinrichtungen finanziellen Spielraum gewinnen, um eine ohnehin dringend notwendige Verbesserung der Gehälter in der stationären Pflege finanzieren zu können.
2015,2
Es ist grundsätzlich sachgerecht, dass der Erweiterte Bewertungsausschuss die Berechnung des kalkulatorischen Arztlohns aus pragmatischen Gründen am Prinzip der Opportunitätskosten orientiert hat. Es ist allerdings nicht zwingend, dass das Oberarztgehalt im Krankenhaus als Referenzmaßstab dient. Für einen erheblichen Teil der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte dürfte – insbesondere wegen der im Vergleich zur oberärztlichen Tätigkeit im Krankenhaus geringen Leitungs- und Personalverantwortung – eher das Facharztgehalt der geeignete Referenzmaßstab sein.
Aus gutachterlicher Sicht sind Forderungen kritisch zu bewerten, die grundsätzlich vom bisher angewandten Modell zur Berechnung des kalkulatorischen Arztlohns abweichen. Einer dieser Ansätze sieht die Berechnung eines konkurrenzfähigen Arzthonorars auf der Basis des Einkommens von Angehörigen vergleichbarer freier Berufe vor. Die dazu vorgelegten Vergleichseinkommen sind jedoch höchst selektiv. Als wenig sachgerecht sind zudem Vorschläge zu bewerten, die zusätzlich zum kalkulierten Arztlohn einen Risikoaufschlag für die unternehmerische Tätigkeit vorsehen. Das unternehmerische Risiko der Niederlassung ist schließlich durch eine Vielzahl von Regelungen sehr gering. Ähnliches gilt für Forderungen, die Aufschläge auf den kalkulierten Arztlohn in Regionen mit überdurchschnittlich hoher Produktivität bzw. Kaufkraft vorsehen. Solche Zuschläge wären nur zu rechtfertigen, wenn es in Regionen mit hoher Kaufkraft bzw. Produktivität keine hinreichenden finanziellen Anreize zur Niederlassung gäbe. Dies ist jedoch keinesfalls zu erkennen.
Ausgesprochen kritisch sind zudem Forderungen nach einer Berücksichtigung des kalkulatorischen Arztlohns bei der Weiterentwicklung der Gesamtvergütung zu bewerten. Erstens gibt es keinerlei gesetzliche oder untergesetzliche Vorgaben, wonach Veränderungen beim kalkulatorischen Arztlohn bei der Festsetzung der Gesamtvergütung berücksichtigt werden müssen. Zweitens ist der bereinigte Überschuss ohne jede Anpassung des kalkulatorischen Arztlohns zwischen 2007 und 2011 um rund 13.000 Euro oder etwa elf Prozent angestiegen. Im Jahr 2014 dürfte der bereinigte Überschuss nach Schätzungen des Gutachters zwischen 127.000 und 140.000 Euro gelegen haben. Drittens würde eine gesetzlich nicht normierte Berücksichtigung des kalkulatorischen Arztlohns bei der Weiterentwicklung der Gesamtvergütung zu einer für die Versichertengemeinschaft problematischen Ausgabendynamik führen – insbesondere durch eine sich gegenseitig verstärkende Mehrfachdynamisierung zwischen den Tarifverhandlungen im stationären Bereich und den Honorarverhandlungen in der ambulanten ärztlichen Versorgung.