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Grundsätzlich begrüßen die Naturschutzverbände die Einrichtung des Biosphärenreservats und wissen die Impulse im Bereich der nachhaltigen Regionalentwicklung zu schätzen. Die Verbände stellen jedoch seit einigen Jahren sowohl im „engeren Naturschutz“ (Artenschutz, Biotopmanagement, Besucherlenkung)wie auch in der Regionalentwicklung (Landnutzung, Infrastruktur, Energie) eine Stagnation fest. Seit der Gründung des Biosphärenreservats wird seine Modellhaftigkeit kontinuierlich anhand nicht wechselnder Einzelprojekte (Rhönschaf-Projekt, Weideochsen) kommuniziert. Eine Breitenwirkung im Sinne einer umfassend nachhaltigen Entwicklung sieht die Arbeitsgemeinschaft bislang jedoch nicht.
Der paläarktische Gesamtbestand des Birkhuhns wird derzeit auf eine Größenordnung von 5-10 Millionen Tiere geschätzt (STORCH 2000). Der europäische Anteil daran beträgt etwa 1/5. In Deutschland und ganz Mitteleuropa stehen Birkhühner wie auch die anderen Raufußhühner auf den nationalen Roten Listen bedrohter Arten. Die Bestände sind seit Jahrzehnten rückläufig. Heute dürfte der Bestand für Birkhühner in Deutschland nur knapp über 1000 Individuen liegen. Die meisten davon, ca. 800-1000 Individuen (BEZZEL et al. 2005), leben in den Bayerischen Alpen. Hier profitieren die Bestände vom großflächigen Zusammenhang der Alpinen Populationen. Alle übrigen Populationen von Birkhühnern in Deutschland liegen unter 100 Vögeln und sind als hochgradig gefährdet einzustufen (STORCH 2008).
Unmittelbar nach Ende des Kalten Krieges ermutigte Federico Mayor, Generaldirektor der United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization (UNESCO), die Mitgliedsländer, sie sollten die unerwartete Chance nutzen, • die „Kultur des Krieges, welche die Zivilisation Europas und der ganzen Welt seit 1914 in einem industriellen Totentanz geprägt hat“, • durch eine „Kultur des Friedens“ zu überwinden. Vor dem „Hintergrund einer verblassenden Kriegskultur und einer heraufdämmernden Friedenskultur sind wir jetzt beim Überschreiten der kritischen Wegscheide auf dem Weg von der Kriegskultur zur Friedenskultur gefordert, der Bewahrung der Umwelt – unter Einschluss der Notwendigkeit eines auf Dauer tragbaren Wachstums – Vorrang zu geben.“3 In dieser Vision sollten Biosphärenreservate dazu beitragen, Voraussetzungen und Bedingungen einer nachhaltigen, friedensfähigen Entwicklung zu benennen.
Das UNESCO-Biosphärenreservat Rhön und die Hochschule Fulda könnten – so die Vision – auf dem oben skizzierten Weg eine systematische Kooperation beginnen und damit national, ggf. sogar international eine gewisse Bedeutung erlangen. Dabei wäre unter anderem auch die Mitarbeit in bisher selbst in Wissenschaftskreisen offensichtlich weitgehend unbekannten oder unbeachteten Forschungsinitiativen – wie etwa der sozialwissenschaftlichen Initiative MOST (Management of Social Transformations Programme) der UNESCO – denkbar und wünschenswert. Allerdings gilt, dass es ohne Sozialwissenschaftler keine sozialwissenschaftliche und somit wirklich fächerübergreifende, den Anforderungen der Nachhaltigkeit entsprechende Biosphärenreservatsforschung geben wird, was auch durch die Forschungsarbeit sozial- und kulturwissenschaftlich orientierter Geographen nicht ausgeglichen werden kann.
Die anstehenden demographischen Veränderungen, die den ländlichen Raum besonders stark betreffen werden, sind auch eine Spätfolge des Fordismus. Die reflexive Modernisierung konnte die Folgen des Fordismus bisher nur langsam und teilweise verarbeiten. Im Biosphärenreservat Rhön als Modellregion für nachhaltige Entwicklung besteht die Chance, durch die Weiterentwicklung des ländlichen Leitbilds ein neues nachhaltiges Modernisierungsleitbild zur ländlichen Regionalentwicklung zu entwerfen, wodurch das Biosphärenreservat mit seinen Projekten auch das Stadium des überwiegend Beispielhaften verlassen könnte. Die soziale Agenda des Biosphärenreservats Rhön sollte deshalb mit der Erarbeitung nachhaltiger Lösungen zu ländlichen Fragestellungen aus den Themenbereichen Arbeit und Bildung, Wirtschaft und Infrastruktur, Bevölkerungsentwicklung und Lebensqualität, Energie sowie mit effektiver Projektbegleitung und interdisziplinärer Forschung (BRIM) in der Zukunft gut gefüllt sein. Außerdem müssen die MAB-Leitlinien, das Rahmenkonzept und die Regionalen Entwicklungskonzepte fortgeschrieben werden. Bei der Bewältigung dieser Aufgaben sollten die modernen Sozialwissenschaften mehr als bisher einbezogen werden.
Die UNESCO-Biosphärenreservate sollen Modellregionen für nachhaltige Entwicklung sein. Nachhaltige Entwicklung umfasst ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit und Verbraucherschutz stehen in einem engen Verhältnis zueinander. So kann Verbraucherschutz als Mittel zur Schaffung von Nachhaltigkeit in vielen Bereichen der Gesellschaft betrachtet werden. Dabei kommt insbesondere den Verbraucherrechten und deren tatsächlicher Durchsetzung eine elementare Funktion für den Verbraucherschutz zu. Im UNESCO-Biosphärenreservat Rhön wurde seit dessen Einrichtung im Jahre 1991 eine Vielzahl an beispielhaften Projekten der nachhaltigen Regionalentwicklung angestoßen und durchgeführt, so etwa in Hessen die Qualifizierungsinitiative „Frauen im Landtourismus“. Im Rahmen dieses Projekts sollte vor allem Frauen aus dem landwirtschaftlichen Bereich die Möglichkeit eröffnet werden, durch den Erwerb entsprechender Zusatzqualifikationen Zusatzeinkommen etwa im Hoftourismus oder der Direktvermarktung zu generieren. Aus diesem Projekt ist der Verein Rhöner Durchblick hervorgegangen. Einige dieser beispielhaften Projekte wurden nicht nur bis in die Gegenwart fortgeführt, sondern auch entsprechend weiterentwickelt. Dies trifft zum Beispiel auf das Partnerbetriebssystem des Vereins Natur- und Lebensraum Rhön (VNLR) zu, das als Ausgangspunkt für die Entwicklung der Dachmarke Rhön gesehen werden kann.
Vor dem Hintergrund insbesondere solcher Rahmenbedingungen wie Globalisierung, EU-Regionalpolitik, dem „Wandel des Staates“ (vgl. FÜRST 1998) sowie der Rolle der Regionen beim wirtschaftlichen Strukturwandel ist eine Aufwertung der Region festzustellen (vgl. BENZ & FÜRST 2003, S. 18; BENZ ET AL. 1999). In diesem Zusammenhang ist der Governance-Begriff im wissenschaftlichen Diskurs in vielfältiger Verwendung in Mode gekommen (vgl. KOOIMAN 1993 und 1999; RHODES 1996). Im folgenden Beitrag werden mit Regional Governance netzwerkartige Politikkonventionen der Selbststeuerung, die staatliche, zivilgesellschaftliche und privatwirtschaftliche Akteure verbinden, bezeichnet.
Dieser Beitrag knüpft an unseren Artikel in Heft 2/2005 (LAHNER/POLLERMANN 2005) an, der Zwischenergebnisse eines DFG-Forschungsprojekts am Institut für Umweltplanung1 der Leibniz Universität Hannover vorgestellt hat (FÜRST et al. 2006). Die „Fortsetzung“ basiert auf den Ergebnissen des Forschungsprojekts sowie der daran anknüpfenden Dissertation zum Thema „Regional Governance in Biosphärenreservaten“ (LAHNER 2009). „Regional Governance“ wird hier verstanden als netzwerkartige Kooperation zwischen Akteuren der staatlichen, marktwirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Teilsysteme, die dauerhaft das Ziel verfolgt, Gemeinschaftsaufgaben der regionalen Entwicklung zu bearbeiten. Bezüglich der so geleisteten Steuerung stehen Prozesse und Regelsysteme im Vordergrund, die kollektives Handeln unterschiedlicher Akteure ermöglichen und dadurch unterschiedliche Handlungslogiken verbinden können. Ziel der Arbeit war es, einen Beitrag zur Erforschung der Entwicklung solcher Regional Governance-Arrangements im Zusammenhang mit dem Schutz natürlicher Ressourcen zu leisten. Als Untersuchungsgegenstand wurde das Schutzgut „Natur und Landschaft“ in Biosphärenreservaten (BR) gewählt. Denn das Konzept der „Biosphärenreservate“ (§ 25 BNatSchG) verfolgt eine kooperative Naturschutzstrategie, die nachhaltige Regionalentwicklung mit Naturschutzzielen in Einklang bringen soll. Regional Governance scheint eine besonders geeignete Steuerungsform darzustellen. Denn die Anforderungen an die UNESCO-Biosphärenreservate, und damit auch an das BR Rhön, bedingen eine netzwerkartige, sektorübergreifende Koordinationsform. Zudem wird vermutet, dass Natur und Landschaft hier „place-Effekte“ ausüben, die katalysierend auf die Regional Governance-Prozesse wirken. Dabei geht der Begriff „place“ über ein rein territoriales Raumverständnis hinaus, indem „place“ auch als Raum sozialer Interaktionen verstanden wird.
Eine zentrale Rolle für das Gelingen der Umsetzung des angerissenen Konzepts dürfte der Fortbildung der Umweltbildungsmultiplikatoren zukommen, die über ihr Fachwissen hinaus, Kenntnisse aufweisen sollten aus dem Bereich der Öffentlichkeitsarbeit, der Moderation und Präsentation. Die Volkshochschulen können bei der Bewältigung der dargelegten Aufgaben einen nicht unerheblichen Beitrag leisten. Erfolgreich werden die Bemühungen aller Beteiligten aber wahrscheinlich nur sein, wenn es gelingt, eine länderübergreifende Vernetzung und Koordination der gesamten Umweltbildungsaktivitäten zu erreichen.