610 Medizin und Gesundheit
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Hintergrund: Das niederländische Krankenversicherungsgesetz hat die bisher parallel existierenden gesetzlichen und privaten Krankenversicherer seit dem Jahr 2006 in ein stark reguliertes, gemeinsames Krankenversicherungssystem zusammengeführt. Regulierter Wettbewerb (Managed Competition) soll die Effizienz des Krankenversicherungssystems und des Versorgungssystems insgesamt erhöhen. Ziel: Wir untersuchen das Vorliegen dreier zentraler Voraussetzungen für einen gelungenen regulierten Wettbewerb: Risikoadjustierung, Wahlfreiheit der Versicherten und Instrumente für Versorgungsmanagement. Methode: Wir haben von September bis Oktober 2009 Experteninterviews mit zwölf Stakeholdern durchgeführt, transkribiert und analysiert. Ergebnisse: Das niederländische System der Risikoadjustierung ist zwar sehr weit, aber noch nicht perfekt entwickelt. Es gibt weiterhin Anreize für Krankenversicherer zur Risikoselektion, wenngleich dies offensichtlich nur selten geschieht. Der Wettbewerb zwischen Krankenversicherern hat bisher zu keinem ausgeprägten Wechselverhalten der Versicherten geführt. Das Krankenversicherungsgesetz gibt Krankenversicherern neue Anreize, die Wünsche der Versicherten stärker zu berücksichtigen. Die Anwendung von Instrumenten zur Versorgungssteuerung entwickelt sich aber nur langsam. Schlussfolgerung: Die Voraussetzungen für einen erfolgreichen regulierten Wettbewerb in den Niederlanden sind noch nicht vollständig geschaffen: Risikoadjustierung kann noch nicht allen Anreizen zur Risikoselektion entgegenwirken. Versichertenpräferenzen werden erst jüngst zunehmend von Versicherern berücksichtigt und die Anwendung von Instrumenten zur Versorgungssteuerung befindet sich noch im Anfangsstadium.
Daten aus Hellfeld- und Dunkelfeld-Studien sprechen dafür, Stalking primär als eine Gewaltform zu begreifen, die Männer gegenüber Frauen ausüben. In Deutschland erfährt jede fünfte bis sechste Frau diese Gewalt. Stalking zielt auf Demoralisierung, vor allem die psychische Gesundheit und das soziale Wohlbefinden der gestalkten Personen können beeinträchtigt sein. Die Art der gesundheitlichen Folgen ist von Art, Ausmaß und Dauer des Stalkings und von der Wahl der Bewältigungsstrategien abhängig. Ziel des Forschungsprojekts Stopp Stalker war es, herauszufinden, inwieweit das professionelle Hilfesystem Empowerment-Prozesse bei von Stalking betroffenen Frauen unterstützt, um Demoralisierungsprozessen entgegen zu wirken. Es wurden 13 leitfadengestützte Interviews mit Akteuren aus dem Main-Kinzig-Kreis sowie Expertinnen und Experten aus dem regionalen und nationalem Umfeld geführt, um die Wissensbestände im Hilfesystem zu rekonstruieren. Die im Anschluss verfassten Erinnerungsprotokolle wurden in Anlehnung an das offene, selektive und axiale Kodieren der Grounded Theory ausgewertet. Aus der Perspektive des Hilfesystems folgt die Hilfesuche Betroffener keinem festen Muster. Professionelle Hilfe wird oft erst dann in Anspruch genommen, wenn eine massive Beeinträchtigung im Alltag vorliegt. Die Wahrnehmung der Betroffenen im Hilfesystem variiert von passiven und traumatisierten Personen zu sich aktiv wehrenden Persönlichkeiten. Aufgrund der regional unterschiedlichen Strukturen und nicht auf Stalking spezialisierten Beratungsstellen ist es nicht einfach, sich im Hilfesystem zu orientieren. Die Einrichtungen bieten unterschiedliche Schwerpunkte an. Sie begreifen sich auch als Vermittler innerhalb des Hilfesystems sowie zwischen Betroffenen und Gesellschaft. Psychosoziale Hilfe soll aus Sicht der Akteure dem individuellen Fall angepasst sein und enthält Elemente der Information über Handlungsoptionen, der Stabilisierung und der Aktivierung. Eine frühzeitige psychotherapeutische Versorgung zur Prävention und die Behandlung der gesundheitlichen Folgen scheinen nicht flächendeckend gewährleistet zu sein. Die Aufnahme von Stalking als Straftatbestand (§ 238 StGB) bietet verbesserte rechtliche Handlungsmöglichkeiten und hat zu einer Sensibilisierung in der Gesellschaft geführt. Dennoch wird der § 238 StGB in seinen Auswirkungen aufgrund von unpräzisen Rechtsbegriffen, der Verfahrensdauer und der rechtsstaatlichen Logik der Beweisführung kritisch gesehen. Die Kenntnis seiner Möglichkeiten bei den relevanten Akteuren scheint regional unterschiedlich zu sein. Frauen, denen Stalking widerfährt, haben dann eine Chance auf eine professionelle Unterstützung eines Empowerment-Prozesses, wenn sie Stalking als solches erkennen, aktiv Hilfe suchen, in der Suche an Personen bzw. Einrichtungen geraten, die sich die Idee des Empowerments intensiv zu eigen gemacht haben und darin eine kompetente Begleitung durch aktive Bewältigungsstrategien finden.
Gewalt kann zu Verletzungen führen, die akut versorgt werden müssen. Das Notaufnahmepersonal kommt deshalb in Kontakt mit Personen, denen Gewalt widerfahren ist und wird mit deren spezifischen Versorgungsanforderungen konfrontiert. In welchem Umfang dies erfolgt, ist in Deutschland weitgehend unbekannt. Es interessierte, wie häufig Gewaltfolgen in Notaufnahmen behandelt werden und wie hoch die Zwölf-Monatsprävalenz der Patientinnen und Patienten ist. Handlungsunsicherheiten der Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzte sollten ermittelt werden. Das Personal aus drei hessischen Notaufnahmen wurde dazu angeleitet, einen Monat lang eine standardisierte Befragung nach Gewalt mit einer modifizierten Version des Partner Violence Screen (PVS)durchzuführen und wurde im Umgang mit gewaltbetroffenen Patientinnen und Patienten geschult. Die Rate der ermittelten Akutbehandlungen von Gewaltfolgen lag bei 4,3 % bis 18,5 %. Die routinemäßige Befragung der Patientinnen und Patienten nach Gewalt konnte nicht durchgängig realisiert werden. Die gewonnenen Daten können deshalb nur für eine der drei Kliniken auf einen Zwölf-Monatszeitraum übertragen werden. Im Rahmen der Schulungen konnten Handlungsunsicherheiten identifiziert und thematisiert werden. Notaufnahmen versorgen Gewaltopfer. Vor allem in der Versorgung chirurgischer Fälle ist dies alltäglich. Ein Gewaltscreening durchzuführen, scheint derzeit für Notaufnahmen nur schwierig realisierbar zu sein. Verbindliche Versorgungsstandards fehlen. Die Bereitschaft an Schulungen zum Umgang mit gewaltbetroffenen Patientinnen und Patienten teilzunehmen, ist vor allem bei Pflegekräften gegeben.
Hintergrund: Bäuerinnen sind besonders gefährdet, sich mit der zeckenübertragenen Borreliose zu infizieren. Aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit im Freien ist das berufsgruppenspezifische Risikopotenzial höher als das Risiko der Allgemeinbevölkerung. Es ist anzunehmen, dass die Bedeutung der Borreliose aufgrund klimatischer Veränderungen in Zukunft zunehmen und dann ein noch größerer Bedarf an zielgruppenorientierter Prävention für diese Berufsgruppe entstehen wird. Fragestellung: Der vorliegende Beitrag untersucht, welche Muster der Risikowahrnehmung und der Bewältigung von Borreliose nordhessische Bäuerinnen entwickeln. Diese Erkenntnisse sind Grundlage für zielgruppenspezifische Präventionsmaßnahmen, die an den alltäglichen und berufsbiographischen Handlungsmustern der Bäuerinnen ansetzen. Methodisches Vorgehen: Aus dem empirischen Material einer Gruppendiskussion wurden geschlechtsspezifische Wahrnehmungsmuster der Borreliosegefahr durch die einzelnen Bäuerinnen herausgearbeitet und gleichzeitig kollektive berufsgruppenspezifische Orientierungen rekonstruiert. Dazu wurden sequenzielle Feinanalysen genutzt. Ergebnisse: Fallrekonstruktive Analysen ergaben, dass Frau Berger im Gegensatz zu der von Borreliose betroffenen Frau Altmann kein routiniertes Muster beim Umgang mit Zeckenstichen zur Verfügung hat. Beide Bäuerinnen realisieren das Risiko einer Borrelioseinfektion erst im Nachhinein. Frau Altmann nimmt die Gefährdung wahr, sobald Wanderröte auftritt; Frau Berger hat für sich noch keinen wirklichen "Indikator" der Risikowahrnehmung entwickelt. Die vorliegenden empirischen Befunde verweisen in beiden Fällen darauf, dass berufsbiographische und alltagspraktische Handlungsmuster zur Abwehr der Infektionsgefahr eng miteinander verwoben sind. Schlussfolgerungen: Die außerordentlich hohe Berufsidentifikation der Bäuerinnen eröffnet Chancen für zielgruppen- und geschlechtsspezifische Präventionsansätze, sie erschwert jedoch auch individuell (vor-)sorgendes gesundheitsbezogenes Handeln. Gespräche mit betroffenen Bäuerinnen, die Auseinandersetzung mit der Infektionsgefahr, die sorgfältige Dokumentation von Zeckenstichen und die breite Sensibilisierung besonders exponierter Berufsgruppen über verschiedene Kommunikationswege stellen den Befunden dieser Arbeit zufolge sinnvolle Maßnahmen der Primärprävention dar.
Die Schutzambulanz Fulda dokumentiert gerichtsverwertbar Verletzungen nach interpersoneller Gewalt und asserviert Beweismaterial, unabhängig von einer Strafanzeige. Das vom Land Hessen und dem Landkreis Fulda finanzierte Modellprojekt ist im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) angesiedelt. Zwischen dem 17.05.2010 und dem 06.06.2011 wurden 141 Verdachtsfälle bekannt. In einer Vollerhebung wurden Angaben zur betroffenen Person, zum Ort und zur Art des Ereignisses, zu den angreifenden Personen sowie den Gewaltfolgen statistisch erfasst und ausgewertet. Die Schutzambulanz erreichte überwiegend Opfer von Partnergewalt gegen Frauen und familiärer Gewalt gegen Kinder aus den städtischen Regionen des Landkreises Fulda. Mutmaßliche Angreifer waren überwiegend männlich. In 55 Fällen erfolgte eine gerichtsverwertbare Dokumentation. Verletzungen waren vor allem am Kopf und an den oberen Extremitäten erkennbar. In 35 Fällen erfolgte eine Vermittlung an die Polizei. Die Schutzambulanz scheint ihre Ziele erreichen zu können.
Hintergrund: Der Effekt einer Reduzierung der Salzaufnahme auf den Blutdruck wird gegenwärtig intensive diskutiert. Die aktuelle Ernährungsweise in industrialisierten Ländern ist gekennzeichnet durch einen sehr hohen Natriumgehalt. Gleichzeitig finden sich in vielen dieser Länder hohe Inzidenz- und Prävalenzraten für Hypertonie. Es be-steht daher die Frage, ob eine bevölkerungsbasierte Intervention zur Salzreduktion einen sinnvollen Ansatz zur Prävention von Hypertonie darstellt. Methoden: Im Rahmen dieser Arbeit wurde zur Bewertung der Effektivität und Sicher-heit einer bevölkerungsweiten Salzrestriktion in verarbeiteten Lebensmitteln eine um-fassende Analyse der verfügbaren Evidenz vorgenommen. Hierzu wurden die Ergeb-nisse einer Vielzahl unterschiedlicher Studientypen berücksichtigt, die die Beziehung zwischen Natriumaufnahme und Blutdruck untersuchen. Zudem wurden Ergebnisse und Erfahrungen aus Langzeitinterventionen zur Prävention von kardiovaskulären Er-krankungen hinzugezogen. Auf dieser Grundlage wurde anschließend mithilfe des Computersimulationsmodells PREVENT eine quantitative Schätzung des Effekts einer Senkung des mittleren Blutdrucks auf die Inzidenz und Prävalenz der Hypertonie in Deutschland durchgeführt. Ergebnisse: Eine moderate Reduzierung der Salzaufnahme würde einen geringen aber entscheidenden blutdrucksenkenden Effekt haben und zu einer Verschiebung der Blutdruckverteilungskurve der deutschen Bevölkerung in Richtung einer theoretisch minimalen Risikoexposition führen. Über einen Zeitraum von 50 Jahren würde es im Vergleich zu einem Referenzszenario ohne Veränderung des Blutdruckniveaus zu ei-ner entscheidenden Abnahme in den absoluten Inzidenz- und prävalenzraten der Hy-pertonie kommen. In Abhängigkeit von unterschiedlichen Interventionsszenarien be-trägt die Gesamtzahl vermeidbarer inzidenter Hypertoniefälle bis zum Jahr 2046 545.000, 830.000 bzw. 1.1 Millionen. Die Hypertonieprävalenz würde sich im Vergleich zum Referenzszenario entsprechend um bis zu 6.8 Millionen Personen reduzieren. Schlussfolgerungen: Eine Restriktion des Salzgehalts in verarbeiteten Lebensmitteln stellt einen effektiven und sicheren Ansatz für eine bevölkerungsbasierte Intervention zur Verringerung der Krankheitslast durch Hypertonie in Deutschland dar. Um eine rasche und umfassende Umsetzung zu gewährleisten, sollte die Politik legislative Maßnahmen intensiv überdenken, um sicherzustellen dass alle Menschen gleicherma-ßen von dieser Intervention profitieren und somit ein maximaler Nutzen erreicht wird.