pg-papers : Diskussionspapiere aus dem Fachbereich Pflege und Gesundheit
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2013,1
Hintergrund: Das niederländische Krankenversicherungsgesetz hat die bisher parallel existierenden gesetzlichen und privaten Krankenversicherer seit dem Jahr 2006 in ein stark reguliertes, gemeinsames Krankenversicherungssystem zusammengeführt. Regulierter Wettbewerb (Managed Competition) soll die Effizienz des Krankenversicherungssystems und des Versorgungssystems insgesamt erhöhen. Ziel: Wir untersuchen das Vorliegen dreier zentraler Voraussetzungen für einen gelungenen regulierten Wettbewerb: Risikoadjustierung, Wahlfreiheit der Versicherten und Instrumente für Versorgungsmanagement. Methode: Wir haben von September bis Oktober 2009 Experteninterviews mit zwölf Stakeholdern durchgeführt, transkribiert und analysiert. Ergebnisse: Das niederländische System der Risikoadjustierung ist zwar sehr weit, aber noch nicht perfekt entwickelt. Es gibt weiterhin Anreize für Krankenversicherer zur Risikoselektion, wenngleich dies offensichtlich nur selten geschieht. Der Wettbewerb zwischen Krankenversicherern hat bisher zu keinem ausgeprägten Wechselverhalten der Versicherten geführt. Das Krankenversicherungsgesetz gibt Krankenversicherern neue Anreize, die Wünsche der Versicherten stärker zu berücksichtigen. Die Anwendung von Instrumenten zur Versorgungssteuerung entwickelt sich aber nur langsam. Schlussfolgerung: Die Voraussetzungen für einen erfolgreichen regulierten Wettbewerb in den Niederlanden sind noch nicht vollständig geschaffen: Risikoadjustierung kann noch nicht allen Anreizen zur Risikoselektion entgegenwirken. Versichertenpräferenzen werden erst jüngst zunehmend von Versicherern berücksichtigt und die Anwendung von Instrumenten zur Versorgungssteuerung befindet sich noch im Anfangsstadium.
2012,4
Daten aus Hellfeld- und Dunkelfeld-Studien sprechen dafür, Stalking primär als eine Gewaltform zu begreifen, die Männer gegenüber Frauen ausüben. In Deutschland erfährt jede fünfte bis sechste Frau diese Gewalt. Stalking zielt auf Demoralisierung, vor allem die psychische Gesundheit und das soziale Wohlbefinden der gestalkten Personen können beeinträchtigt sein. Die Art der gesundheitlichen Folgen ist von Art, Ausmaß und Dauer des Stalkings und von der Wahl der Bewältigungsstrategien abhängig. Ziel des Forschungsprojekts Stopp Stalker war es, herauszufinden, inwieweit das professionelle Hilfesystem Empowerment-Prozesse bei von Stalking betroffenen Frauen unterstützt, um Demoralisierungsprozessen entgegen zu wirken. Es wurden 13 leitfadengestützte Interviews mit Akteuren aus dem Main-Kinzig-Kreis sowie Expertinnen und Experten aus dem regionalen und nationalem Umfeld geführt, um die Wissensbestände im Hilfesystem zu rekonstruieren. Die im Anschluss verfassten Erinnerungsprotokolle wurden in Anlehnung an das offene, selektive und axiale Kodieren der Grounded Theory ausgewertet. Aus der Perspektive des Hilfesystems folgt die Hilfesuche Betroffener keinem festen Muster. Professionelle Hilfe wird oft erst dann in Anspruch genommen, wenn eine massive Beeinträchtigung im Alltag vorliegt. Die Wahrnehmung der Betroffenen im Hilfesystem variiert von passiven und traumatisierten Personen zu sich aktiv wehrenden Persönlichkeiten. Aufgrund der regional unterschiedlichen Strukturen und nicht auf Stalking spezialisierten Beratungsstellen ist es nicht einfach, sich im Hilfesystem zu orientieren. Die Einrichtungen bieten unterschiedliche Schwerpunkte an. Sie begreifen sich auch als Vermittler innerhalb des Hilfesystems sowie zwischen Betroffenen und Gesellschaft. Psychosoziale Hilfe soll aus Sicht der Akteure dem individuellen Fall angepasst sein und enthält Elemente der Information über Handlungsoptionen, der Stabilisierung und der Aktivierung. Eine frühzeitige psychotherapeutische Versorgung zur Prävention und die Behandlung der gesundheitlichen Folgen scheinen nicht flächendeckend gewährleistet zu sein. Die Aufnahme von Stalking als Straftatbestand (§ 238 StGB) bietet verbesserte rechtliche Handlungsmöglichkeiten und hat zu einer Sensibilisierung in der Gesellschaft geführt. Dennoch wird der § 238 StGB in seinen Auswirkungen aufgrund von unpräzisen Rechtsbegriffen, der Verfahrensdauer und der rechtsstaatlichen Logik der Beweisführung kritisch gesehen. Die Kenntnis seiner Möglichkeiten bei den relevanten Akteuren scheint regional unterschiedlich zu sein. Frauen, denen Stalking widerfährt, haben dann eine Chance auf eine professionelle Unterstützung eines Empowerment-Prozesses, wenn sie Stalking als solches erkennen, aktiv Hilfe suchen, in der Suche an Personen bzw. Einrichtungen geraten, die sich die Idee des Empowerments intensiv zu eigen gemacht haben und darin eine kompetente Begleitung durch aktive Bewältigungsstrategien finden.
2017,2
Good governance and redistribution in health financing : Pro-poor effects and general challenges
(2017)
Good governance has increasingly attained priority in international cooperation and health-system performance. Governance refers to all steering activities by public entities to influence the behaviour and activities of stakeholders involved. In the health sector, governance refers to a wide range of functions related to guidance and rule-making carried out by governments or other public decision-makers. More specifically, governance in the health-financing system applies to two different aspects: in addition to the approaches, strategies and policies determining how financial flows are implemented, managed and supervised according to rules- or outcome-based indicators, health-financing governance encompasses the question of how far resource generation, pooling and allocation are organised in an equitable, fair and sustainable manner. Individual and collective financial sustainability, burden sharing and social coherence or solidarity are essential parts of health-financing governance and depend deeply on societal priorities and values. Fairness of financing, transparent risk pooling and accountable purchasing of health services are intrinsic elements of governance in health financing and critical for achieving universal health coverage. The government is ultimately responsible for implementing an appropriate framework for a transparent, accountable and reliable health-financing system, for ensuring that the intermediate institutions can perform their functions, for executing effective and powerful supervision, and for providing civil society with the means to demand transparency and good financial governance.
Health-financing indicators show the system’s ability to effectively mobilise and allocate resources, implement social protection and pooling schemes, and distribute the financial burden of care equitably. Essentially two groups of indicators exist for assessing governance in the health financing system: rules-based approaches consider the existence of appropriate policies, strategies, and codified approaches for governance; outcome-based indicators measure whether rules and procedures are effectively implemented or enforced and health-financing targets achieved.
2015,1
Mit dem Modellprojekt SOwieDAheim wird im hessischen Main-Kinzig-Kreis seit dem Jahr 2006 das innovative Konzept der häuslichen Tagespflege erprobt. Im Gegensatz zur professionellen Tagespflege werden ältere hilfsbedürftige Menschen nicht in einer Einrichtung, sondern in Privathaushalten betreut. Ehrenamtlich Engagierte sind als Betreuungspersonen eingesetzt. Sie werden von hauptamtlichen Fachkräften punktuell unterstützt. Besonders geeignet ist das Angebot für Demenzerkrankte, die von der Betreuung in kleinen Gruppen mit vier bis fünf Gästen in der alltagsorientierten Atmosphäre der Gastfamilien profitieren. Das Projekt begegnet einer bestehenden Unterversorgung von Tagespflegeangeboten und hat das Ziel, pflegende Angehörige bei der häuslichen Betreuung demenzerkrankter Menschen zu entlasten.
Ziel der ethnographischen Untersuchung war es, aus Perspektive der Ehrenamtlichen Strategien und Kompetenzen zu analysieren, die sie zur Betreuung der demenziell veränderten Gäste einsetzen. Die Methodik der teilnehmenden Beobachtung ermöglichte einen Einblick in die Lebenswelt von vier Gasthaushalten. Die Datenanalyse erfolgte angelehnt an die Grounded Theory. Die zentrale Kategorie „Alltäglichkeit herstellen“ spiegelt dabei eine Ambivalenz des Projektes wider. Das Ziel eines alltagsorientierten Gast-Gastgeber-Kontextes ist durch die zum Teil erheblichen körperlichen und kognitiven Beeinträchtigungen der Gäste nur eingeschränkt gegeben. Um deren besondere Bedürfnisse zu erfüllen, setzen die ehrenamtlichen Betreuungspersonen professionelle Kompetenzen ein. Motiviert für ihre anspruchsvolle Tätigkeit werden sie insbesondere durch die positiven Rückmeldungen der Gäste.
In der Reflexion der Ergebnisse wird betrachtet, dass subjektiv belastende Aspekte der ehrenamtlichen Tätigkeit vom Anspruch der Betreuungspersonen an die Professionalität ihrer Betreuung beeinflusst sein können. Als bedeutend ist daher die unterstützende Begleitung der Fachkräfte einzuschätzen. Die eingesetzten sozialen und personalen Kompetenzen der Ehrenamtlichen scheinen eher im Lebensverlauf erworben zu sein und weniger durch Schulungen vermittelbar, was auf die Relevanz des Auswahlprozesses angehender Betreuungspersonen verweist. In den untersuchten Gasthaushalten gelingt es, durch die Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamtlichen demenzerkrankte Menschen bedürfnisorientiert zu betreuen, sodass aus gesundheitspolitischer Perspektive im Modellprojekt SOwieDAheim Empfehlungen nach innovativen Betreuungsangeboten verwirklicht werden.
2014,2
Ausgangslage
Hebammen können mit ihrem Expertenwissen und ihrem praktischen Erfahrungshintergrund unterrichtsergänzende Einsätze im Rahmen der Sexualerziehung an Grundschulen anbieten. Dabei erfahren die Kinder, dass Schwangerschaft, Geburt, Wochenbettphase und Stillzeit primär gesunde, vitale Lebensprozessen sind, können diese mit dem Berufsbild der Hebamme verknüpfen und möglicherweise im späteren Leben auf dieses Wissen zurückgreifen. Das Kasseler Modellprojekt „Hebammen in der Schule“ des Deutschen Hebammenverbandes (DHV) bot Kasseler Grundschulen über den Zeitraum von einem Jahr Hebammenunterricht an (je zwei Einheiten à zwei Stunden) und führte in diesem Rahmen eine Schülerinnen- und Schülerbefragung durch.
Fragestellung
Die vorliegende Untersuchung befasst sich mit der Frage, welche Wirkungen der Hebammenunterricht auf die Schülerinnen und Schüler zeigte. Die Veränderungen sowohl in der emotionalen Einstellung der Kinder zu Schwangerschaft als auch deren kognitiver Wissensstand zu Aufgaben, Arbeitsweise und Tätigkeitsbereich einer Hebamme wurden ebenso wie die subjektive Bewertung des Hebammenunterrichts durch die Kinder erfasst.
Methodik
Anhand eines standardisierten Fragebogens wurden im Schuljahr 2006/2007 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen drei und vier (N=1.105) vor und am Tag nach dem Hebammeneinsatz befragt.
Ergebnisse
Nach der Hebammenstunde zeigten die befragten Kinder eine Verbesserung ihres Wissenstandes zu Aufgaben, Arbeitsweise und Tätigkeitsbereich des Hebammenberufes. Verbanden außerdem zuvor 36,3 Prozent der Befragten Schwangerschaft mit Angst und Gefahr, tat dies im Nachhinein nur noch jedes vierte Kind (25,7 Prozent). Der Großteil der Kinder bewertete den Unterricht durch die Hebamme zudem als sehr interessant (81 Prozent) und gut verständlich (83,4 Prozent).
Schlussfolgerung
Die Untersuchung dokumentiert sowohl die Qualität als auch den positiven Einfluss des Hebammenunterrichts auf die Einstellung und den themenbezogenen Wissensstand der befragten Kinder. Hebammen können mit ihrem Unterrichtsangebot einen wichtigen Beitrag in der gesundheitlichen und sexuellen Bildung von Kindern leisten. Die Ergebnisse regen eine Weiterentwicklung sowohl des Konzeptes als auch der Evaluation des Projektes an.
2013,2
Mit Einführung der Modellklausel in das Hebammengesetz ist es in Deutschland seit 2009 möglich, neue Ausbildungsformen für die Qualifikation zur Hebamme bzw. zum Entbindungspfleger zu erproben. Dies schließt die Möglichkeit einer akademischen Ausbildung in Kooperation mit Praxispartnern ein. In einem solchen dualen Studienangebot erwerben die Absolvierenden sowohl eine Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Hebamme als auch einen Bachelor of Science in Hebammenkunde. Im Rahmen des Projektes DuGes (Duale Studiengänge in geregelten Berufen des Gesundheitswesens) wurde die Machbarkeit eines solchen Studienprogrammes geprüft und eine Stakeholderanalyse durchgeführt. Dazu wurden zwischen August und November 2009 dreizehn Interviews mit für die Hebammenausbildung relevanten Interessensgruppen geführt. Entlang einer inhaltlichen Strukturanalyse der einzelnen Interviews wurden im nächsten Arbeitsschritt Kodes gebildet, welche im Weiteren unter Berücksichtigung der jeweiligen Hintergründe, Bedingungen und Strategien der Interviewten theoriegenerierend zusammengefasst und kategorisiert wurden. Von der verbandlichen Interessenvertretung der Hebammen in Deutschland seit gut zehn Jahren angestrebt, wirft die Akademisierung des Hebammenberufes sowohl in den eigenen Reihen als auch bei benachbarten Berufsgruppen Fragen auf. Bei den Berufsvertreterinnen scheint dabei weniger die Frage eine Rolle zu spielen, ob, sondern vielmehr die Frage, wie die Hebammenausbildung zeitgemäß gestaltet und möglicherweise auf Hochschulniveau angesiedelt werden kann, ohne dass sich dies negativ auf das Berufsprofil und seine praxisbezogenen Kernkompetenzen auswirken würde.
2015,3
Wie belastet sind Hausärztinnen und Hausärzte in Deutschland? Ein Workload-Vergleich nach Praxislage
Hintergrund: Arbeitsbedingungen von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten in ländlichen Gebieten werden von Medizinstudierenden mit einem erhöhten Workload assoziiert. Dies könnte ein wesentlicher Grund für die rückläufigen Wiederbesetzungsraten frei werdender Arztsitze in ländlichen Regionen sein.
Fragestellung: Es wird der Frage nachgegangen, ob Disparitäten im hausärztlichen Workload in Abhängigkeit von der geografischen Praxislage vorliegen. Im Anschluss wird die Assoziation zwischen objektivem Workload und subjektiver Belastungsempfindung untersucht.
Material und Methoden: Als Datenbasis dient die schriftliche Befragung von 238 Hausärztinnen und Hausärzten im Rahmen der QUALICOPC-Studie. Der objektive Workload wird durch Bildung eines Index gemessen, der die Wochenarbeitszeit und den Umfang geleisteter Bereitschaftsdienste sowie von Haus- und Heimbesuchen einschließt. Der subjektive Workload wird durch ärztliche Bewertungen der individuellen Belastungen hinsichtlich des Verwaltungsaufwands, des Stresses und des Verhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung operationalisiert.
Ergebnisse: Der hausärztliche Workload steigt mit zunehmender Ländlichkeit der Praxislage. In der Stichprobe arbeiten Landärztinnen und -ärzte im Mittel länger als ihre städtischen Kolleginnen und Kollegen, haben mehr Patientinnen und Patienten durch Haus- und Heimbesuche zu versorgen und erbringen deutlich mehr Bereitschaftsdienste. Mit der Zunahme des objektiven Workloads steigt auch der subjektive Workload.
Diskussion: Ländlich praktizierende Hausärztinnen und Hausärzte weisen im Vergleich zu ihrem städtischen Kollegium sowohl einen höheren objektiven als auch subjektiven Workload auf. Maßnahmen zur Workload-Reduktion in ländlichen Regionen – wie etwa die Zentralisierung von Bereitschaftsdiensten – sollten daher stärker in den Fokus gesundheitspolitischer Bemühungen rücken.
2016,2
2009 wurde die sog. Modellklausel in die Berufsgesetze von u. a. Hebammen und der Physiotherapie implementiert. Damit wurde es den Ländern befristet bis 2017 ermöglicht, eine primärqualifizierende, hochschulische Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen zu erproben, um deren Weiterentwicklung unter Berücksichtigung der berufsfeldspezifischen Anforderungen sowie moderner berufspädagogischer Erkenntnisse zu ermöglichen. Absolventinnen und Absolventen solcher Studiengänge erwerben neben dem Bachelorabschluss die Berufszulassung. Die Studiengänge unterliegen einer Pflicht zur wissenschaftlichen Begleitung nach den Evaluationsrichtlinien des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) vom 16.11.2009.
Auf dieser Grundlage werden am Fachbereich Pflege und Gesundheit der Hochschule Fulda seit dem Wintersemester 2012/13 Hebammen sowie seit dem Wintersemester 2013/14 Physiotherapeutinnen und -therapeuten akademisch ausgebildet. Das Evaluationskonzept der Hochschule Fulda greift zur Beantwortung des Fragenkatalogs des BMGs auf eine Kombination von Dokumentenanalysen, Expertenbefragungen, Befragung der Studierenden, Befragung der Praxispartner, einen Workshop zur Evaluation des praktischen Examens, Recherchen nach einschlägigen Studien und einen eintägigen Validierungsworkshop mit rund 100 Teilnehmenden zurück, die kontrastierend analysiert wurden. Am 14.07.2015 wurde ein Zwischenbericht vorgelegt, der im vorliegenden Abschlussbericht u. a. in Fragen zur staatlichen Prüfung und Kostenerhebung ergänzt wird.
Die Ergebnisse bestätigen, dass eine akademische Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen machbar ist und dass Studierende von dem Mehrwert eines Hochschulstudiums profitieren. Beispielhaft kann die wissenschaftliche Schwerpunktsetzung, die gute personelle und sachliche Ausstattung, eine zielführende Verzahnung von Theorie und Praxis sowie der Einsatz aktueller pädagogischer Konzepte genannt werden. Probleme entstehen aufgrund der mangelnden Passung des Ausbildungssystems zu hochschulischen Strukturen und durch veraltete Vorgaben und Inhalte der Ausbildungs- und Prüfungsordnungen. Studierende sind die Hauptleidtragenden dieser Mängel. Eine Verlängerung der Modellklausel ist ohne eine Anpassung der Regelungen an hochschulische Strukturen nicht zielführend.
Finanziell könnte es, ohne rechtliche Gegensteuerung, neben einer Umverteilung der Kosten zuungunsten der Länder zu einer leichten Erhöhung der Ausbildungskosten kommen. Dem sind allerdings Qualitätszugewinne sowie der Mehrwert einer hochschulischen Ausbildung entgegenzustellen, was wiederum Kosteneinsparungen erwarten lässt. Für diese Kosten-Nutzen-Zusammenhänge, den Mehrwert der akademischen Ausbildung sowie den Verbleib der Absolventinnen und Absolventen besteht weiterer Forschungsbedarf.
Mit den Erfahrungen aus den Modellstudiengängen stellt sich nicht mehr die Frage, ob eine akademische Ausbildung sinnvoll ist, sondern wie diese rechtlich umgesetzt werden soll.
2017,1
2010 riefen Mardorfer Bürgerinnen und Bürger einen niedrigschwelligen Betreuungsdienst ins Leben, dessen Ziel es ist, älteren Menschen in der Gemeinde den Verbleib in ihrer Häuslichkeit zu ermöglichen. Ihrem Engagement liegt die Überzeugung zugrunde, dass es den Staat insbesondere finanziell überfordere, den Auswirkungen des demografischen Wandels mit den klassischen Methoden des Sozialstaatzu begegnen: deshalb sei ein bürgerschaftliches Handeln dringend erforderlich. Von dieser programmatischen Annahmenverknüpfung geht, so meine zentrale These, eine bestimmte Anrufung der Bürger aus, sich als engagierte Subjekte zu konstituieren. Es ist Aufgabe dieser Arbeit, im Anschluss an das Forschungsprogramm der Gouvernementalitätsstudien nach Michel Foucault, die sich dabei herausbildende Subjektivierungsfigur darzustellen.
Ausgangspunkt hierfür ist die Analyse des lokalen Dispositivs des bürgerschaftlichen Engagements. Das Konzept des Dispositivs erlaubt es, die Verknüpfungen der in Mardorf relevanten Wissensordnungen, Institutionen und Objekte zu untersuchen und dadurch der Mehrdimensionalität des Subjektivierungsprozesses gerecht zu werden. Die Basis hierfür bildet ein Textkorpus aus vielfältigen Dokumenten zum lokalen Diskurs um die Bürgerhilfe. Seine Auswertung mit einem an die Grounded Theory angelehnten Verfahren macht es möglich, das Dispositiv mithilfe zweier story lines zu beschreiben – den Erzählungen von der Entdeckung des bürgerschaftlichen Potenzials einerseits und von Mardorf als Leuchtturm andererseits. Hiervon ausgehend können die dort ausgewiesenen Subjektpositionen zu der Subjektivierungsfigur des engagierten Selbst verdichtet werden.
Diesem engagierten Selbst liegt eine dreifache Rationalität zugrunde: Es vereint ein semiprofessionelles, ein verantwortungsvolles und ein unternehmerisches Selbst, die sich gegenseitig ergänzen. Wirksam wird das engagierte Selbst nicht durch die Repression der Subjekte, sondern indem es sie zu einer Selbststeuerung aktiviert. Dazu ist es verknüpft mit bestimmten Selbsttechnologien wie der Unterzeichnung der Helfervereinbarung, dem Besuch der Helferschulung oder dem Erhalt der Aufwandsentschädigung. Gleichzeitig ist es ein historisches Produkt seiner Zeit und damit Teil der neoliberalen Gouvernementalität: So weist es weitreichende Übereinstimmungen mit dem Geist der gegenwärtig hegemonialen Subjektivierungsfigur des unternehmerischen Selbst auf und buchstabiert die in diesem enthaltenen Subjektpositionen für den Bereich des bürgerschaftlichen Engagements aus. Insgesamt kann die Arbeit damit zeigen, dass sich bürgerschaftliches Engagement nicht im machtfreien Raum befindet, sondern dass die Mardorfer Bürgerinnen und Bürger im Mittelpunkt eines vielseitigen, aus Wissensordnungen, Institutionen und Objekten gebildeten Kraftfeldes stehen.
2018,1
Intoxikationen erfolgen bekanntermaßen häufiger im Haushalt, am Arbeitsplatz, in Kindertagesstätten, in Schulen und in Krankenhäusern, sie kommen aber auch in besonderen Settings vor. Besonders Justizvollzugsanstalten sind diesbezüglich bisher nur unzureichend untersucht worden, auch da diese von der Bevölkerung immer noch mit zahlreichen Vorurteilen und Stigmatisierungen assoziiert werden. Die Analyse von Vergiftungen können gute Indikatoren für die sozialen Verhältnisse in den JVAs sein, deren Abgeschlossenheit per se wenig Informationsfluss in die Öffentlichkeit ermöglicht. Es soll nachfolgend untersucht werden, a) wie häufig Vergiftungen bei Insassen von JVAs vorkommen, b) welche Schweregrade der Intoxikationen vorliegen und c) auf welche Weise die Vergiftungen zugefügt wurden (akzidentell oder beabsichtigt durch Suizid, Abusus oder Fremdbeibringung). Methodisch wird zunächst in einer retrospektiven Analyse von deutschen und ausländischen Studien ein theoretischer Überblick über Vergiftungen in Gefängnissen geschaffen. Es folgen eine quantitative Auswertung von Vergiftungsfällen am Beispiel der telefonischen Beratungsprotokolle des Göttinger Giftinformationszentrums Nord und die Zusammenschau sämtlicher Befunde. Auf diese Weise soll es möglich werden, in der totalen Institution JVA zumindest Teilaspekte der Lebenswelt von Gefangenen zu rekonstruieren, indem die möglichen Auswirkungen des Freiheitsentzugs im Kontext mit einer latenten gesellschaftlichen Ausgrenzung, mit Vereinsamung, mit einem hintergründig gewaltgeprägten Alltag und mit dem Zugang zu Drogen zu diskutieren sind.